Der phönizische Meisterstreich
- Linus Graber
- 9. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Das Erbe und die Kunst – In seinem neusten Film verführt Wes Anderson ins fiktive Phönizien – und zeigt sich dabei überraschend persönlich.

Nur wenige Filmschaffende besitzen eine so deutliche künstlerische Handschrift wie Wes Anderson. Dies hat zur Folge, dass der Regisseur in der Öffentlichkeit sehr umstritten ist: Manche halten ihn für einen der grossartigsten Regisseure unserer Zeit, andere für einen Hochstapler, dessen markanter Stil vom fehlenden Inhalt seiner Filme ablenken soll. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Auch wenn sich viele an seinem Stil mittlerweile sattgesehen haben, darf man nicht vergessen, dass Wes Andersons bilderbuchhafte Filmästhetik eine willkommene Abwechslung zum Hollywood-Einheitsbrei war – bzw. immer noch ist. Gleichzeitig wundert es nicht, dass viele Zuschauer*innen nach über 20 Jahren mehr vom Regisseur erwarten als symmetrische Bilder, hübsche Pastellfarben und trockenen Galgenhumor.
Wer sich also mit einem Wes-Anderson-Burnout konfrontiert sieht, dem dürfte «Der phönizische Meisterstreich» (OT «The Phoenician Scheme») möglicherweise Erlösung bringen. Keine Frage: Der Film ist durch und durch ein Wes-Anderson-Film – mit all den bereits erwähnten, typischen Eigenschaften. Gleichzeitig ist «Der phönizische Meisterstreich» aber persönlicher, politischer und auch lustiger als viele seiner bisherigen Filme.
Im Zentrum der Geschichte steht der fiktive Industriemagnat Anatole "Zsa-Zsa" Korda, gespielt von Benicio Del Toro. Als er sich nach einem erneuten Attentatsversuch auf sein Leben mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert sieht, beschliesst er, im fiktiven Phönezien ein grossangelegtes Infrastrukturprojekt durchzusetzen, welches seinen Reichtum absichern soll. Als dieses Projekt von einer Geheimkommission gefährdet wird, bricht Zsa-Zsa nach Phönezien auf, um mit den Projekt-Investoren eine Überbrückungsfinanzierung zu verhandeln. Dabei nimmt er seine Tochter mit – die angehende Nonne Liesl (Mia Threapleton), die er gleichzeitig zu seiner alleinigen Erbin ausbilden will – sowie den norwegischen Privatlehrer und Insektenforscher Bjorn (Michael Cera).

Oberflächlich betrachtet könnte dieser Film schnell herausfordernd wirken: Finanzielle Verhandlungen über ein Infrastrukturprojekt hören sich im ersten Moment nicht wie eine besonders spannende Handlung an. In typischer Wes-Anderson-Manier wird jedoch durch Situationskomik durch den Film geleitet, sodass die Handlung nie trocken wirkt. Zum einen gelingt das durch den grossartigen Supporting Cast, welcher mal wieder von Starpower nur so strotzt (Tom Hanks, Bryan Cranston, Scarlett Johansson, Bill Murray – um nur ein paar zu nennen). Zum anderen aber auch durch das Zusammenspiel der drei Figuren im Zentrum. Die Gespräche zwischen Zsa-Zsa, der sich seiner eigenen Verwerflichkeit nicht nur bewusst ist, sondern sie vollumfänglich annimmt, und seiner Tochter Liesl, die sich mit ihrer geistlichen Hingabe der weltlichen Korruption ihres Vaters entgegenstemmt, sind nicht nur humoristisch unterhaltsam, sondern tatsächlich auch effektiv darin, eine allmähliche Regenerierung eines gebrochenen Vater-Tochter-Verhältnisses aufzubauen, um welches man sich kümmert. Ergänzt wird dieses Verhältnis durch Michael Ceras Figur, welche als Brücke zwischen den beiden eine willkommene, auflockernde Rolle einnimmt. Daraus ergibt sich ein Film, dessen Inhalt weniger durch die Handlung, sondern mehr durch die Figuren kommuniziert wird.
Immer mal wieder hat Zsa-Zsa Visionen vom Himmel, in welchem er etwa von seiner eigenen Mutter nicht mehr erkannt wird. Diese Einschübe verleihen dem Film eine existenzialistische Note – aber auch etwas sehr Persönliches. Was will man der Nachwelt hinterlassen, und kann man am Ende auf das stolz sein, was man war? Zsa-Zsas Ambition, mit seinem Industrieimperium ein Erbe für die Nachwelt zu schaffen, kann auch als künstlerischer Impuls gelesen werden, vor dem Tod ein Werk für die Ewigkeit zu schaffen. Ein derart selbstreflektierter Blick auf das eigene Schaffen ist ungewohnt vom 56-jährigen Regisseur, doch genau das macht «The Phoenician Scheme» zu einem seiner interessanteren Werke.

Zuschauer*innen, die mit vergangenen Wes-Anderson-Filmen Mühe hatten, werden wahrscheinlich auch mit diesem Film ihre Probleme haben. Trotz der bereits herausgestellten Qualitäten macht der Film insgesamt zu wenig, um ihn aus dem Gesamtwerk des Regisseurs herauszuheben. Man sieht den Anfang einer möglichen Entwicklung, aber noch keinen voll ausgereiften Gedanken. Auch visuell sticht der Film schlussendlich zu wenig heraus, um sich von seinen anderen Projekten wirklich abzuheben. Wer allerdings generell seinem Stil etwas abgewinnen kann, dem würde ich den Besuch im Kino wärmstens empfehlen.
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