John & Yoko: One to One
- Linus Graber
- 13. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Juni
Turbulente Zeiten – Der neue Dokumentarfilm zeigt John Lennon und Yoko Ono in ihrem ersten Jahr in den USA – zwischen Protesten, Skandalen und dem Finden der eigenen Rolle.

Als großer Beatles-Fan bin ich in einer Sache einfach gestrickt: Wenn ein Film verspricht, nie zuvor gesehene Archivaufnahmen der Band zu veröffentlichen oder altes Material zu restaurieren, bin ich am Start. Manchmal mündet diese Bereitschaft in milder Enttäuschung, wie etwa jüngst beim von Martin Scorsese für Disney+ produzierten Dokumentarfilm «Beatles '64», welcher die ersten drei Wochen der Beatles in Amerika und ihren damaligen kulturellen Einfluss porträtiert. Dieser Fokus auf nur einen kleinen Abschnitt der Band hört sich interessant an, mündete allerdings in einen Film, der nicht viel Neues zu erzählen hatte und mit unzähligen Talking Heads die Zeit zu überbrücken versuchte.
Das Konzept, sich auf einen kleinen Zeitabschnitt zu fokussieren, verfolgt auch der Film «John & Yoko: One to One», welcher aktuell in den Kinos läuft. Mitproduziert vom Sohn Sean Lennon, beleuchtet der Film John Lennons und Yoko Onos Leben in New York im Jahr 1972. Der Ausgangspunkt bildet das Wohltätigkeitskonzert «One to One», Lennons letztes abendfüllendes Konzert vor seinem Tod. Die restaurierten Aufnahmen dieses Konzerts werden vermischt mit Archivaufnahmen dieser Zeitperiode – nicht nur von Lennon und Yoko, sondern auch vom Aktivismus gegen den Krieg in Vietnam, Richard Nixons Präsidentschaft und sonstigen Zeitdokumenten, etwa in Form von Werbungen.
Anders als in «Beatles '64», wo alte Musikerinnen und Musiker in der Erinnerung schwelgen, ihr erstes Beatles-Album gekauft zu haben, schafft es das Regieduo Kevin MacDonald und Sam Rice-Edwards durch die Montage einen Einblick in das Amerika von 1972 zu geben. Dieses ist geprägt von einem Krieg auf einem anderen Kontinent, einem republikanischen Präsidenten, der wiedergewählt werden will, Aktivisten wie Jerry Rubin und Allen Ginsberg, und natürlich John Lennon und Yoko Ono, die frisch von London ins Village nach New York gezogen sind und nun an vorderster Front Teil des kulturellen Wandels sein wollen.
Der eigentliche Aufhänger des Films, das «One to One»-Konzert, rückt schnell in den Hintergrund. Vielmehr will uns der Film das Porträt einer Nation vermitteln, die sich im Zwiespalt befindet. Es werden Aufnahmen aus Vietnam gezeigt, Nixon, der von der Bevölkerung gefeiert wird, und Demonstranten auf der Strasse. Dabei liegt der Bezug zur aktuellen Weltlage nicht fern (Palästina und Donald Trump) – eine Beobachtung, derer sich die Filmemacher mit grosser Wahrscheinlichkeit bewusst waren.

Das Ziel des Films ist es schlussendlich aber nicht, die Amtszeit von Donald Trump mit der Nixon-Ära gleichzusetzen, auch wenn dieses Gefühl immer wieder mitschwingt. Es geht darum, welchen Platz John und Yoko inmitten dieser Unruhen einnehmen. Dieser Frage muss sich auch das Paar stellen. Neu in New York, freunden sich die beiden schnell mit Künstlern, Aktivisten und Intellektuellen an. Man sieht, wie Lennon und Ono helfen wollen – etwa indem sie Jerry Rubin in eine Talkshow holen oder bei Demonstrationen auftreten. Gleichzeitig wirken sie aber immer wieder etwas orientierungslos. Über neu veröffentlichte Telefonate erfahren wir von einer nie zustande gekommene Konzerttour, in welcher Lennon in jeder auf der Tour besuchten Stadt eine gewisse Anzahl Häftlinge auf Kaution freikaufen wollte. Das Telefonat zwischen Lennon und seinem damaligen Manager Allen Klein wirkt zeitweise fast absurd – etwa in einem Moment, in welchem sie darüber diskutieren, wie sie die Auswahl der freizukaufenden Häftlinge treffen wollen. Klein schlägt vor, einfach alphabetisch von A nach Z zu gehen; Lennon ist sich noch unsicher, wie die Auswahl getroffen werden soll, findet aber die Idee schon mal «fucking great». Lennon und Ono wollen einen produktiveren Beitrag an den Aktivismus leisten, statt nur ihrer Kunst. Ganz so einfach ist das für die beiden aber nicht.
Lennon und Ono wollen einen produktiveren Beitrag an den Aktivismus leisten, statt nur ihrer Kunst. Ganz so einfach ist das für die beiden aber nicht. Oft handeln sie überstürzt und wirken in den politischen Unruhen fast etwas verloren . Wirklich kritisch wird der Film mit Lennon und Ono aber nicht – was nicht zuletzt an der Mitwirkung von Sohn Sean Lennon liegen dürfte. Lennons Worte im Song «Mother», den er auch am «One to One»-Konzert singt, in denen er seinen Vater anschuldigt, ihn verlassen zu haben, wirken zynisch, wenn man bedenkt, dass Lennon für seinen Sohn aus erster Ehe, Julian Lennon, fast nie anwesend war.
Der Fokus des Films liegt allerdings auch ganz woanders. Im Gegensatz zu «Beatles '64» gelingt es «John & Yoko: One to One» durch toll zusammengeschnittenes Archivmaterial einen ganz bestimmten zeitlichen Einblick zu gewähren – nicht nur in das Leben John Lennons und Yoko Onos, sondern auch in die Geschichte Amerikas. Nicht nur Beatles- und Lennon-Fans ist dieser Film wärmstens zu empfehlen, sondern auch all jenen, die angesichts der aktuellen Ereignisse mal wieder eine historische Auffrischlektion benötigen.



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